Bulimie Unplugged
Da ist es wieder, ohne Vorwarnung und von der Seite kommend. Bumm, etwas rempelt mich an und krallt sich unbarmherzig in meinen Gedanken fest. Es geschieht überfallartig und ich weiß genau, einmal im Kopf angekommen, werde ich keine Kontrolle mehr haben über das, was gleich geschehen wird. Gier entsteht, ein unwiderstehliches Verlangen nach etwas Süßem. Weich und cremig sollte es sein. Bei dem Gedanken daran, fühle ich mich sanft umarmt und berührt. Gleichzeitig ist da ein innerer Druck, der mich umklammert und festhält. Ich fühle mich umringt von etwas, das ich nicht fassen, nicht greifen kann. Ein unförmiges, wabbeliges Etwas übernimmt das Steuer – und genauso fühle ich mich – unförmig, wabbelig und fremdgesteuert.
Eine Stimme in mir ruft: lass es! du wirst wabbelig und fett bleiben, wenn du so weiter frisst! – Aber du schaffst das ja eh nicht, aufzuhören – Die Stimme wird härter und ich fühle mich gedemütigt –mehr denn je.
Immer noch ist da diese Gier – ich kann sie einfach nicht stoppen – nicht kontrollieren – und ich fühle mich überwältigt.
Ich fange an, wahllos Süßes in mich rein zu stopfen – unkontrolliert und viel zu viel. Fresse, bis mir der Magen weh tut. Höre erst auf, wenn alles weg ist. – Ekel steigt in mir auf, Ekel vor mir selbst. Ich schäme mich so… Selbstachtung – wo bist du? Und ich spüre Wut, unglaubliche Wut. Auf mich, ja – auf wen denn sonst? Ich bin es doch, die so unfähig ist, damit aufzuhören.
Raus, alles muss wieder raus – sofort. Wenigstens das muss ich schaffen.
ICH DARF NICHT DICK WERDEN!
Nach dem Kotzen versinkt die Welt im Nebel. Alles wirkt dumpf um mich herum. Ich spüre nichts mehr. Wut, Traurigkeit, Hunger, Sattgefühl – alles verschwimmt und bleibt im Dunkeln verborgen.
Ich liege innerlich auf dem Boden meiner selbst – bewege mich nur noch in Slow Motion.
Morgen, morgen höre ich damit auf!
Wenn ich mein Essen in den Griff bekomme, wird alles gut.
Es gibt kein Morgen – ich stecke fest im Heute.
Mut zur Offenheit und die Kraft authentischer Gespräche
25 Jahre lang war die Bulimie ein Teil meines Lebens. Seit fast 20 Jahren bin ich befreit. Aus dem Teufelskreis von Fressen und Kotzen.
Nach langer Überlegung habe ich mich nun entschieden, mit meiner eigenen Geschichte in die Öffentlichkeit zu gehen.
Es war ein Prozess. Die Frage – zeige ich mich oder nicht – hat mich sehr beschäftigt. Und dann war es tatsächlich soweit: An den Holistic Healing Days bei Thalamus in Stuttgart, hatte ich die Möglichkeit, das erste Mal im Leben vor mir unbekannten Menschen von mir zu erzählen.
Meine eigene Geschichte lädt ein zum Zuhören und darüber Sprechen. Sie will Mut machen, einen ersten Schritt zu wagen, um den Teufelskreis aus Fressen und Kotzen zu durchbrechen.
Und während ich hier schreibe, stehe ich wieder vor der Frage: zeige ich mich noch einmal öffentlich oder nicht? Im Moment möchte ich euch lieber von meinen Eindrücken dieser bedeutsamen 60 Minuten erzählen, in denen ich mutig war:
Nach anfänglicher Aufregung ist etwas Wunderbares passiert. Ein Raum ist entstanden mit offenen, ehrlichen Gesprächen und sehr berührenden Momenten. Zu erleben, wie ich Menschen erreichen kann, indem ich einfach nur authentisch von mir erzähle und mich zeige, so wie ich bin, hat mich sehr bewegt. Mein eigener mutiger Schritt nach vorne, ermutigt mein Gegenüber.
Eine der Teilnehmerinnen sagte abschließend als Feedback: Wir kommen nur weiter im Leben, wenn wir anfangen, offen und ehrlich miteinander zu reden.
Ich spüre Dankbarkeit. Für diese wertvollen 60 Minuten, mit bereichernden Erfahrungen für uns als Gruppe.
Und genau so lasse ich es heute mal stehen. Die Eindrücke wirken noch nach.
Eure Astrid
Astrid Banko
Heilpraktikerin für
Psychotherapie
Text
bulimie
ein erster schritt
behutsam eine öffnung finden
vertrauen entstehen lassen
den teufelskreis einen spalt öffnen
zuhören